Billie Holiday: Mehr Verzweiflung denn Verlangen
Vor 100 Jahren wurde Billie Holiday geboren. Verschiedene Künstler würdigen die große Jazzsängerin mit Neuinterpretationen ihrer Songs.
Von Silvana Resch
Innsbruck –Armut, Gewalt, Prostitution: Billie Holiday hatte die harten Tage ihrer Kindheit und Jugend hinter sich gelassen, als sie 1939, im Alter von 24 Jahren, zum ersten Mal den Song „Strange Fruit“ sang. Sie hatte lange gezögert, ehe sie das Lied, eine beißende Anklage der Lynchjustiz in den Südstaaten, im New Yorker Café Society zum ersten Mal anstimmte. Zu sehr wich der Song von ihrem üblichen Jazz-Standardreportoire ab. „Blut an den Blättern und Blut an den Wurzeln/Schwarze Körper wehen in der südlichen Brise“, diese Worte interpretierte sie schließlich doch auf ihre unvergleichliche Weise. „Strange Fruit“ und Billie Holiday sind seither untrennbar miteinander verbunden. Die Komposition des russisch-jüdischen Lehrers und Kommunist Abel Meeropol sollte der Bürgerrechtsbewegung den Weg bereiten.
Heute wäre Billie Holiday, die am 7. April 1915 als Eleanora Harris in Baltimore geboren wurde, 100 Jahre alt geworden. Von Heroin und Alkohol gezeichnet, war ihr nur ein kurzes Leben gegönnt. Sie starb 44-jährig im Krankenhaus, wegen eines Vergehens gegen das Suchtmittelgesetz stand sie zu diesem Zeitpunkt unter Polizeigewahrsam.
Im Nachruf der New York Times 1959 wird sie bereits als einflussreichste Jazz-Größe ihrer Zeit gewürdigt – neben ihren großen Idolen Louis Armstrong und Bessie Smith. Sie sei mehr aus Verzweiflung denn aus Verlangen Sängerin geworden, ist dort zu lesen. Holiday, der Nachname stammt von ihrem Vater, den Vornamen hatte sie von ihrer Lieblingsschauspielerin Billie Dove geborgt, hatte – von bitterer Armut getrieben – um Engagements in New Yorker Nachtclubs gebettelt. Als Tänzerin wurde sie abgelehnt, als Sängerin konnte sie sich fortan durchschlagen. Der Jazz-Experte John Hammonds entdeckte sie 1933 und holte sie für Aufnahmen mit dem Klarinettisten Benny Goodman ins Studio. In den kommenden Jahren nahm sie mehr als 350 Platten auf. Mit weißen Gardenien im Haar, den Kopf keck zurückgeworfen und beiläufig mit den Fingern schnippend, wurde sie zum Star. Die Carnegie Hall oder die Metropolitan Opera, in denen sie vor begeistertem Publikum auftritt, muss sie dennoch durch die Hintertüre betreten. Der Rassismus in den USA der 1940er-Jahre machte ihr das Leben schwer.
Zu ihrem Geburtstag würdigte nun eine Reihe von Interpreten die große Jazzsängerin. Der zwischen Tradition und Moderne wandelnde José James versammelt etwa auf „Yesterday I Had the Blues: The Music of Billie Holiday“ neun von Holiday interpretierte Songs, darunter „Body and Soul“, „Lover Man“ oder „God Bless the Child“.
Die britische Teilnehmerin der Casting-Show „The X Factor“ Rebecca Ferguson hat indes Holidays wegweisendes Album „Lady Sings the Blues“ aus dem Jahre 1956 neu aufgenommen. Mit leiser Melancholie in ihrer heiseren Stimme interpretiert die 28-Jährige die zwölf Songs voll Respekt.
An „Strange Fruit“ wagt sich lediglich die zweifache Grammy-Siegerin Cassandra Wilson. Ihr Cover-Album „Coming Forth By Day“ hat sie mit Nick Caves Produzenten Nick Launay sowie Musikern der Bad Seeds aufgenommen. Den Songs gewinnt die Jazzsängerin dabei eine dunkle, ungewohnte Seite ab. Ihre Hommage ist sicherlich die eigenwilligste.