EU-Gipfel

Streit über ungarisches Gesetz zur Homosexualität entzweit die EU

Orban weist jede Kritik an den neuen Regeln beharrlich zurück.
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Hitzige Debatte beim EU-Gipfel: Kanzler Kurz und viele seiner EU-Kollegen fürchten um die Grundrechte sexueller Minderheiten, doch Ungarns Premier Orban ficht das nicht an – er gibt sich gar als Vorkämpfer für die Rechte von Homosexuellen. Ein Diplomat wähnt bei ihm „Hopfen und Malz verloren“.

Brüssel, Budapest, Wien – Das ungarische Gesetz zur Einschränkung von Informationen über Homo- und Transidentität entzweit die EU. Beim EU-Gipfel entbrannte am Donnerstagabend eine hitzige Debatte, wie mehrere Diplomaten bestätigten. Einzelne Staats- und Regierungschefs stellten demnach sogar infrage, ob Ungarn bei der Fortsetzung der aktuellen Politik noch einen Platz in der EU haben kann oder brachten die Kürzung von EU-Geldern über den neuen Rechtsstaatsmechanismus ins Spiel.

Unterstützung für Premier Viktor Orban hätten Polen und Slowenien signalisiert. Das ungarische Gesetz war in der Nacht auf Donnerstag im Amtsblatt veröffentlicht worden und tritt 14 Tage später in Kraft – und Orban will es nach eigenen Angaben nicht zurückziehen. Es verbietet Publikationen, die Kindern zugänglich sind und nicht-heterosexuelle Sexualität darstellen. Auch wird Werbung verboten, in der Homosexuelle oder Trans-Personen als Teil einer Normalität erscheinen.

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„Rote Linie überschritten": Sogar Austritt im Gespräch

Der niederländische Regierungschef Mark Rutte stellte sogar die Mitgliedschaft Ungarns in der EU infrage. „Diesmal geht es zu weit", sagte Rutte nach Angaben aus EU-Kreisen in der rund zweistündigen und zum Teil „emotional" geführten Debatte zu Orban. Er rief den ungarischen Regierungschef auf, wie Großbritannien ein Austrittsverfahren nach Artikel 50 des EU-Vertrags einzuleiten, wenn er die europäischen Werte nicht achten wolle. Eigene Mittel zum Rauswurf eines missliebigen Mitgliedstaats hat die EU nicht.

Besonders scharf ging auch der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel mit Orban ins Gericht. Bettel lebt selbst offen schwul und ist mit seinem Partner seit 2015 verheiratet. „Du hast eine rote Linie überschritten", sagte er nach Angaben aus EU-Kreisen zu Orban. „Das ist nicht das Europa, in dem ich leben möchte." EU-Ratspräsident Charles Michel erinnerte demnach zudem daran, „dass Werte wie Freiheit, Toleranz und menschliche Würde im Zentrum der Europäischen Union stehen".

Kurz: „Ungarns Vorgehen ist Grenzüberschreitung“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) unterstützte Bettel in der Gipfeldebatte. „Wir haben uns klar zu Wort gemeldet. Wir sind der Meinung, dass das Vorgehen Ungarns eine Grenzüberschreitung ist. Und die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat unsere volle Unterstützung. Sie hat angekündigt, in eine Konsultation mit Ungarn einzutreten, und auch zu prüfen, welche rechtlichen Schritte sie setzen kann", sagte der Kanzler in den frühen Morgenstunden des Freitag nach den Gipfelberatungen.

Kurz und 16 weitere Staats- und Regierungschefs hatten vor dem Gipfel in einem Brief an die Spitzen der EU ihre Besorgnis über die Bedrohung von Grundrechten und Diskriminierung sexueller Minderheiten deutlich gemacht. „Respekt und Toleranz sind das Herzstück des europäischen Projekts", heißt es in dem Schreiben. „Wir sind entschlossen, diese Anstrengungen fortzuführen und dafür zu sorgen, dass die künftigen Generationen Europas in einem von Gleichberechtigung und Respekt geprägten Umfeld aufwachsen." Der Brief erwähnt als Anlass den International Lesbian Gay Bisexual and Transgender Pride Day am 28. Juni.

Neben Österreich wurde der Brief unter anderem von Frankreich, Italien, Niederlande, Belgien, Deutschland und Luxemburg unterzeichnet. Von den östlichen EU-Staaten machten nur Estland und Lettland mit. Neben Ungarn fehlten auch Länder wie Polen, Slowakei, Tschechien, Slowenien, Kroatien, Bulgarien und Rumänien.

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Von der Leyen kündigte entschiedenes Vorgehen an

Kurz sagte am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel, in vielen Fragen gebe es unterschiedliche Zugänge zwischen Ost- und Westeuropa, auch in der Flüchtlings- und in Finanzfragen. Österreich habe stets die Rolle eingenommen, immer mit allen im Gespräch zu bleiben und Brücken zu bauen. „Das ändert aber nichts daran, dass wir eine klare Meinung zu Grund- und Freiheitsrechten haben", auch zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie zur Notwendigkeit unabhängiger Medien, sagte Kurz. „Ich sehe in diesen Positionen überhaupt keinen Widerspruch." Kurz: „Wir gehören nicht zu den Ländern, die versuchen, Gräben in der Europäischen Union zu schaffen."

Die EU-Kommission und zahlreiche EU-Staaten sind der Auffassung, dass das ungarische Gesetz Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein entschiedenes Vorgehen der Kommission angekündigt. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nannte als mögliche Konsequenzen einen Zahlungsstopp von EU-Hilfen und einen Entzug des Stimmrechts – allerdings sind die Hürden für einen solchen Schritt sehr hoch. Der Ausschluss eines Landes aus der EU gegen dessen Willen ist nach den Europäischen Verträgen gar nicht möglich.

Bei Orban sei offensichtlich „Hopfen und Malz verloren", sagte Asselborn bei NDR Info. Er gehe davon aus, dass der ungarische Premier „nicht mehr auf die europäische Schiene kommt". Das Gesetz sei schändlich und richte sich klar gegen nicht-heterosexuelle Menschen. „Er ist aber zu feige, das zu sagen."

Orban behauptet, Rechte Homosexueller zu verteidigen

Orban weist jede Kritik an den neuen Regeln beharrlich zurück – und erklärt, er verteidige vielmehr die Rechte von Homosexuellen. Das Gesetz sorge dafür, dass Eltern alleine darüber entscheiden könnten, wie sie die sexuelle Erziehung ihrer Kinder gestalten wollten, erklärte der rechtsnationale Regierungschef.

Kritiker werfen ihm vor, neben den Rechten von Minderheiten auch demokratische Institutionen und die Pressefreiheit auszuhöhlen, sich die Justiz Untertan gemacht zu haben und Ressentiments gegen Ausländer zu schüren. Beim Thema Grundrechte liegt Ungarn bereits seit Jahren mit der EU im Clinch. (APA/dpa/AFP)

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