Al Pacino und De Niro in „The Irishman“: Von Altersmilde keine Spur
Die Gangster von einst fürchten die Dunkelheit: Martin Scorsese blickt in „The Irishman“ mit seiner Filmfamilie zurück auf sechs Jahrzehnte Mafia-(Film-)Geschichte.
Von Marian Wilhelm
Innsbruck –„I Heard You Paint Houses” heißt ein Sachbuch über Frank „The Irishman“ Sheeran und das Verschwinden des einst einflussreichen US-Gewerkschaftsbosses Jimmy Hoffa. Es ist der Titel, der am Beginn von Martin Scorseses neuestem Film in großen Lettern erscheint. Dreieinhalb Stunden später haben wir „den Iren“ durch sechs Jahrzehnte Gangster-Laufbahn begleitet und bekommen Credits, wie sie kein anderer Film des Jahres zu bieten hat. Der 76-jährige Scorsese versammelt noch einmal seine gesamte Filmfamilie für eine epische Rückblende ihrer aller Kino-Karriere: Robert De Niro, Joe Pesci – der für „The Irishman“ seinen Ruhestand unterbrach –, Harvey Keitel. Und als altgedienter Novize Al Pacino in seiner ersten Scorsese-Rolle. Vorweggenommen: Allesamt sind großartig. Und Scorseses langjährige „Partners in Crime“, die meisterhafte Schnittmeisterin Thelma Schoonmaker und Kostüm-Virtuosin Sandy Powell, leisten einmal mehr ganze Arbeit. Rhythmus und Textur machen „The Irishman“ zum Kinoerlebnis. Apropos Textur: Jene der Darsteller wurde der die Jahrzehnte übergreifenden Erzählung angepasst. Haudegenhaut wurde digital geglättet. Das Verfahren ist teuer. Deshalb sprangen Studios ab. „The Irishman“ – kolportiertes Budget: 160 Mio. Dollar – wurde von Streaming-Krösus Netflix finanziert. Dort soll der Film schon wenige Wochen nach seiner Kinokurzstrecke für Neuabonnenten sorgen. Großes Aufheben um die technischen Tricks macht „The Irishman“ nicht. Die Effekte bleiben fast unsichtbar. Der retouchierte De Niro jedenfalls spielt den irischstämmigen Weltkriegsveteranen Frank, der in den frühen 50er-Jahren vom Mafia-Capo Russell Bufalino (Pesci) Aufträge entgegennimmt. Er verstehe sich aufs Streichen von Häusern. Heißt es. Gemeint ist damit: Er verspritzt Blut. Und er erledige Tischlerdienste. Sprich: Er entsorgt Leichen. „Der Ire“ mordet für die Mafia. Und er wird als Aufpasser und Mann fürs Grobe an Obergewerkschafter Jimmy Hoffa (Pacino) weitervermittelt. Hoffa war „in den 50ern so berühmt wie Elvis und in den 60ern wie die Beatles“.
Was dann folgt, sind mehrere Kapitel gewalttätiger US-Geschichte: gewerkschaftlicher Arbeitskampf, organisierte Kriminalität und die Loyalitätskonflikte dazwischen.
Martin Scorsese hat das Mafiafilmgenre von „Mean Streets“ (1972) über „Goodfellas“ (1990) bis „Casino“ (1995) geprägt wie sonst nur Francis Ford Coppola mit seinen „Paten“-Filmen. Umso spannender ist nun, wie er in seinem Alterswerk jeden Glamour des Kriminellen und die Wärme der „Godfather“-Familie demontiert. „The Irishman“ ist eiskalt und erstaunlich unspektakulär. Es geht hier nicht um die Mechanik der Macht im kriminellen Geschäft – wer wen wie umbringt und wer was wird. Scorsese sucht hier kein grelles Drama mehr, keine Bad-Boys-Burleske. Er geht auf Distanz, zeigt durchprofessionalisierte Brutalität, seziert die toxische Männer-Mafia – und stimmt den Abgesang an. Ikonisch sind dabei bereits die ersten Bilder: eine lange Kamerafahrt. Wie damals in „Goodfellas“. Doch der brummende Copacabana-Club ist zum Altenheim geworden. Die Fahrt endet auf De Niros Gesicht. Hier blickt einer zurück, ringt mit dem, was war, und den Gebrechen, die davon übrig geblieben sind. Franks innerer, dann lauter Monolog leitet durch die Geschichte, die zuweilen allzu montagehaft dem jazzigen Soundtrack folgt. Im letzten Akt des Epos dekliniert Frank den körperlichen Verfall derer durch, die überlebt haben. Auflösungserscheinungen, wohin man schaut. Das Mafia-Genre haben wir da längst verlassen. „The Irishman“ ist ein Film über das Altern. Und letztlich eine Einsamkeitsstudie. Am Ende bittet Robert De Niros Frank Sheeran seinen Beichtvater, die Tür einen Spalt breit offen zu lassen. Auch die gelernten Gangster von einst fürchten die Dunkelheit. Vor allem, wenn sie allein sind.