Der Tejo floss mitten durch Kufstein
Fado-Sängerin Gisela João und ein kongeniales Gitarristentrio ließen tief in die portugiesische Seele blicken.
Von Wolfgang Otter
Kufstein – „Nua“ – also nackt – stand Gisela João nicht auf der Bühne des Kufsteiner Kulturquartiers. Obwohl das aktuelle Programm der portugiesischen Ausnahme-Fadosängerin, das sie im Rahmen der Wunderlichen Kulturtage präsentierte, so hieß.
„Nua“ stand da wohl eher für einen Seelen-Striptease, an dem die Musikerin die begeisterten und gleichermaßen faszinierten Zuhörer teilnehmen ließ.
Begleitet wurde sie von drei Herren, die ihr Metier auf meisterhafte Art beherrschen: Francisco Gaspar (Bassgitarre), Bernardo Ramao (Portugiesische Gitarre) und Nelson Aleixo (akustische Gitarre). Sie sind nicht nur Begleiter, sondern Virtuosen, wie sie bei ihren Instrumentaleinlagen bewiesen.
Gisela João erzählte von ihrer Familie, ihrer Kindheit mit sechs Geschwistern und ihrem Großvater, den sie so sehr vermisse. Erzählungen, die sie mit Liedern umrahmte, die tief in die Saudade, den Weltschmerz der Portugiesen, blicken ließ. Und welche bessere Ausdrucksform gäbe es dafür als den Fado? Jene geheimnisvolle, melancholische Musikrichtung, deren Ursprung sich heute nicht mehr schlüssig nachvollziehen lässt. Brasilianische und orientalische Musik haben Einfluss darauf genommen. Von den ehemaligen Armenvierteln Lissabons aus trat der Fado seinen Siegeszug an und wurde durch Interpreten und Interpretinnen wie Gisela João in der jüngsten Zeit zu einer anspruchvollen und wieder populären Musikform.
Aber, so erklärte die Künstlerin, Fado sei auf keinen Fall traurig. Vielmehr sei er sehr intensiv. Und wie als Beweis dafür wirbelte die Sängerin tanzend und klatschend über die Bühne, riss so manchen Zuhörer mit, den es nicht mehr auf seinem Stuhl hielt, um im nächsten Musikstück wieder eine unglückliche Liebe zu beweinen – einmal flüsternd, einmal sich aufbäumend –, João ist ein emotionales Energiebündel, wie man es selten zu hören bekommt.
Und während man ihrem dunklen Mezzosopran lauschte, wurde man gedanklich Tausende Kilometer weiter westwärts versetzt – nach Lissabon, an das Ufer des Tejo, der sich plötzlich mitten durch Kufstein ergoss. Ein Abend, der unter die Haut ging.