TT-Interview

Autor Michael Behrendt: „Andreas Gabalier kokettiert mit Rechts“

In seinem neuen Buch analysiert Autor Michael Behrendt kontroverse Songs: von „Strange Fruits“ von Billie Holiday über „Love Me Do“ der Beatles bis hin zu „0815“ von Kollegah und Farid Bang.
© Ernst Stratmann

Musik braucht Provokation, meint Autor Michael Behrendt. Ein Gespräch über kontroverse Songs – pünktlich zur Ausstrahlung der umstrittenen Jackson-Doku.

Die Band Rammstein erregt derzeit mit ihrem Song „Deutschland“ große Aufregung. Im Video sind die Bandmitglieder u. a. als KZ-Häftlinge zu sehen. Problematische Provokation oder überzogene Debatte?

Michael Behrendt: Ich find­e die Debatte überzogen. Rammstein verwurstet seit jeher deutsche Geschichte und das Thema Schuld zu einer Horror-Show à la Alic­e Cooper. Eigentlich kommen sie aber aus dem linken Spektrum. Auch im aktuellen Song feiern sie nichts, sie schildern vielmehr die blutige Geschichte Deutschlands. Die Figur der Germania ist eine Frau mit schwarzer Hautfarbe, die Nazischergen werden am Schluss von den Häftlingen erschossen. Da ist nichts Verherrlichendes dahinter. Wenn ein Film wie „Schindlers Liste“ diese Zeit thematisieren darf, darf Rammstein das auch. Der Song ist spannend, ebenso wie das Video.

Viele stießen sich am Trailer, der nur ausgewählte Szenen zeigte. Der Vorwurf: Rammstein würde das Thema Nationalsozialismus kommerziell ausbeuten.

Behrendt: Aber ein Film wirbt eben auch mit spektakulären Szenen. Was Rammstein zeigt, ist keine Verhöhnung der Opfer. Ich finde ihre Vorgangsweise absolut legitim. Wenn die Bandmitglieder im Video am Galgen hängen, nehmen sie eigentlich ihre eigene mediale Hinrichtung vorweg. Das finde ich sehr clever gemacht. Ein gutes Werk Provokationskunst.

Provokation gehört für Sie also zur Popmusik.

Behrendt: Ja, unbedingt. Solange Songs kritisch sind und fundiert Stellung nehmen zu aktuellen Themen, ist es absolut erlaubt. Anders ist es bei volksverhetzenden Inhalten.

Bei Ihrer Analyse von Songs unterscheiden Sie zwischen biografischem Ich, Show-Ich und dem Ich im Text. Warum ist es problematisch, wenn sich die Ichs überlager­n?

Behrendt: Diese Art der Analys­e fand ich bei Battle-Rappern spannend. Da gibt es privat oft schwache Ichs, die sich mit fetten Show-Ichs präsentieren. Und dazu macht das Ich im Text einen auf dicke­n Macker, das wie im Fall von Kollegah auch antisemitischen oder rassistischen Kram ablässt. Vor der Kritik werden diese Aussagen dann aber wiederum als Rolle abgetan. Das finde ich sehr perfide. Rapper sind schwer greifbar, weil sie mit diesen Ichs spielen. Wenn man nachhakt, gibt es meist doch Verbindungen zwischen Künstler im Alltag und den umstrittenen Aussagen. Genauso im Rechtsrock.

Sie erwähnen im Buch etwa Frei.Wild als Beispiel.

Behrendt: Auch bei Frei.Wild ist das biografische Ich und das Ich im Text sehr nahe. Ich finde es nicht ungefährlich, was die Südtiroler Band macht und gemacht hat. Sie behaupten, sie würden davon singen, was sie bewegt, und damit auch ausdrücken, was die Mehrheit der Menschen sich eh denkt. Aufwind bekommen diese Bands heute auch durch die sozialen Medien. Dort werden Stimmen laut, die man vor 20 Jahren schlichtweg nicht gehört hätte.

Auch Schlagersänger Andrea­s Gabalier rühmt sich damit zu sagen, was wir uns eh alle denken.

Behrendt: Und Gabalier agiert in dem Sinne auch ähnlich wie Frei.Wild. Er sagt, er sei konservati­v, und zwar aus Leidenschaft. Er gibt den Naturburschen. In seinen Texten wimmelt es aber vor steinernen Kreuzen und merkwürdigen Anspielunge­n. Das geht schon weiter als nur Konservativ-Sein. Er kokettiert mit Rechts, insofern kann ich Musiker verstehen, die sich – wie jetzt im Vorfeld der Amadeus-Vergabe – von ihm distanzieren.

Heute wird die umstrittene Doku „Leaving Neverland“ erstmals im deutschen Fernsehen laufen. Viele wünschen sich aufgrund der darin geäußerten Missbrauchsvorwürfe eine Distanzierung von Michael Jackson-Songs. Eine richtige Konsequenz?

Behrendt: Hier muss man zwischen kontroversen Songs und kontroversen Künstlern unterscheiden. Seine Songs, absolute Meisterwerke, handeln ja nicht davon, Kinder zu missbrauchen. Boykottiert man Michae­l Jackson, straft man damit auch all jene, die mitgewirkt haben: die Musiker oder sein genialer Produzent Quinc­y Jones. Ich finde es unsinnig, dass man darüber diskutiert, die Songs nicht mehr im Radio zu spielen und sie aus dem kollektiven Bewusstsein aus dem kollektiven Bewusstsein zu verbannen. Ich finde es fast schon erleichternd, dass auch Michael Jackson eben kein Gott war, sondern jemand mit menschlichen Abgründen.

Das Gespräch führte Barbara Unterthurner

Sachbuch Michael Behrendt: Provokation! Songs, die für Zündstoff sorgen, 293 S., Wbg Theiss.

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