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Neues Netz, alte Ängste: Ärzte warnen vor der 5G-Strahlung

Anstelle von neuen Mobilfunkmasten sollen tirolweit mindestens 2000 kleinere 5G-Sendestationen installiert werden.
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Tirol ist Testmarkt Nummer eins für das neue Mobilfunknetz 5G. Mediziner warnen vor der hochfrequenten Strahlung und nehmen die Politik in die Pflicht.

Von Beate Troger

Innsbruck –Man sieht sie nicht, man hört sie nicht, man spürt sie nicht. Schon seit jeher schürt elektromagnetische Strahlung Ängste. Mit dem neuen Mobilfunknetz 5G haben Sorgen von Bürgern und Warnungen von Medizinern wieder neuen Nährboden bekommen.

Die neue Technologie soll das Tausendfache des bisherigen Datenvolumens managen können und gilt u. a. als Grundvoraussetzung für das „Internet der Dinge“, die vernetzte Industrie und das autonome Autofahren.

International formierte sich mit zwei großen Online-Petitionen schon im Jahr 2015 massiver Widerstand. Gefordert wird, die neue Technologie erst dann flächendeckend zu installieren, wenn alle gesundheitlichen Bedenken widerlegt sind.

Auch im 5G-Testmarkt Tirol werden Warnungen immer lauter. „Es gibt keinerlei Langzeitstudien, wir wissen nicht, wie diese Strahlung im hochfrequenten Bereich auf den Körper wirkt“, erklärt die Innsbrucker Radiologin Irene Maresch. „Die Wellen sind kürzer und prallen an der Haut ab“, weiß die Medizinerin. „Sie erwärmen das Gewebe, dringen aber nicht ein“, führt sie weiter aus. Ob und wie die Haut tatsächlich betroffen sein wird, müsse ausführlich erhoben werden.

In den Petitionen berufen sich Hunderte namentlich genannte Wissenschafter aus aller Welt auf mehr als 10.000 Studien, die vor gesundheitlichen Auswirkungen von hochfrequenter Strahlung warnen. Die Experten zählen ein erhöhtes Krebsrisiko und eine überdurchschnittliche Gefährdung für Fehlgeburten ebenso auf wie neurologische Schädigungen, Herz-Kreislauf-Probleme, Wahrnehmungsstörungen oder DNA-Veränderungen.

Geht es konkret um die Frequenzen im Bereich von 3,4 bis 3,8 Gigahertz, die bereits vergeben sind, fehlen Daten. „Weder können Mobilfunkgegner die potenziellen Gesundheitsgefährdungen untermauern, noch können die Mobilfunkbetreiber diese definitiv ausschließen“, erläutert Piero Lercher, Leiter des Referats für Umweltmedizin der Ärztekammer Wien.

Treten etwa vermehrt unspezifische Kopfschmerzen oder Schlafstörungen auf, sei es nicht möglich, zu beweisen, dass diese Symptome ausschließlich auf die Mobilfunkstrahlung zurückzuführen seien. Auch die aktuellen 5G-Tests sind vom medizinischen Standpunkt aus kaum zu evaluieren: „Wenn in 30 Jahren im schlimmsten Fall ein Tumor auftritt, weiß man nicht, ob tatsächlich elektromagnetische Strahlung ausschlaggebend dafür war“, führt Lercher aus.

Die Sorgen in der Bevölkerung wachsen vor allem deshalb, weil im Endausbau bis 2029 eine Vielzahl von neuen Sendestationen errichtet wird. Zu den tirolweit 1850 Mobilfunksendern sollen mindestens 2000 dazukommen. „Auf jedem zweiten Haus“ könnten im Endausbau bis 2029 Antennen montiert sein, kündigte Johannes Gungl, Geschäftsführer der Regulierungsbehörde RTR, bereits an.

Die 5G-Sender sind viel kleiner als die bisherigen Handymasten, dafür müsse aber die Dichte erhöht werden. Gleichzeitig liegt deren Sendeleistung bei unter zehn Watt, was nur einen Bruchteil der Signalleistung der Masten ausmacht.

Zum Start des 5G-Tests in Innsbruck werden T-Mobile und die IKB als lokaler Partner sieben Sendestationen, so genannte „Smart Cells“, mit einer Größe von rund 20 bis 30 Zentimetern installieren. Die Standorte sind laut IKB noch nicht festgelegt.

Innsbrucks Bürgermeister Georg Willi nimmt die Bedenken der Bürger ernst: „Wir achten streng darauf, dass sämtliche Grenzwerte eingehalten werden“, sagt Willi zur TT. Laut den beratenden Experten solle die Strahlenbelastung innerhalb der einzelnen Funkwaben der Sender niedriger sein als in der Nähe der großen Masten. Bei der 5G-Technologie mit an Bord zu sein, stärke aber vor allem den Universitäts- und Wirtschaftsstandort Innsbruck. „Auch die Bürger fordern immer besseres und schnelleres Internet.“

Zum Schutz der Konsumenten im Falle von nachweisbaren Folgeschäden fordert die Ärztekammer von Mobilfunkbetreibern und Politikern eine schriftliche Bestätigung, dass die Strahlung unbedenklich sei. „Wenn die Verantwortlichen tatsächlich davon überzeugt sind, dass die 5G-Technologie keinen Schaden hervorrufen wird, dann sollte so ein Zugeständnis kein Problem sein“, sagt Umweltmediziner Lercher.

Bürgermeister Willi argumentiert, dass er kein Mediziner und daher für eine derartige Zusicherung nicht berechtigt sei.

War vor 20 Jahren der Protest von Bürgerinitiativen im Kampf gegen große Handymasten laut, so läuft der Widerstand derzeit leiser und überwiegend im Internet ab. „Die Dauerbestrahlung ist leider zur Normalität geworden“, sagt die kritische Tiroler Radiologin Maresch. Außerdem hätten sich die Bürger an den Komfort der Smartphones gewöhnt. „Daraus entsteht eben eine gewisse Ignoranz“, meint sie. Schützen könne man sich nicht, weil jeder den Wellen rund um die Uhr ausgesetzt sei.

Dabei gebe es durchaus Alternativen: „Kabelgebundene Lösungen, etwa Glasfaserkabel, sind im Gegensatz zur Funktechnologie nicht potenziell gesundheitsgefährdend, schneller und datensicherer“, erläutert Lercher.

Daten und Fakten zum 5G-Netz

Technologie und Frequenzen: 5G ist das Mobilfunknetz der fünften Generation, nach LTE (4G), UMTS (3G), GSM (2G) und der ersten Generation, die analog funkte. Die Frequenzen liegen im Bereich zwischen 3 und 100 Gigahertz (GHz), bei LTE waren es zwischen 800 und 2600 MHz. Im Februar hat die Regulierungsbehörde RTR Frequenzen zwischen 3,4 und 3,8 GHz versteigert.

Nutzen: 5G soll Datenkommunikation in Echtzeit ermöglichen. Der Download eines Films mit 30 GB wird nur noch ca. 40 Sekunden dauern.

Geräte: Erste 5G-taugliche Smartphones und Tablets erscheinen im Laufe des Jahres.

5G in Tirol: Mit fünf von österreichweit 17 5G-Gemeinden (Innsbruck, Seefeld, Serfaus, Kirchbichl, St. Johann) ist Tirol Testmarkt Nummer eins. Innsbruck ist die einzige Landeshauptstadt im Test.

Online-Petitionen: Zwei große Petitionen inklusive Links zu Studien stehen auf www.5gappeal.eu und www.5gspaceappeal.org im Netz. Wissenschafter engagieren sich mit ihren Publikationen auf www.emfscientist.org.

Prävention: Die Ärztekammer rät u. a., mit Freisprecheinrichtung am Handy zu telefonieren und mobile Datenübertragung ebenso wie WLAN zuhause nur bei Bedarf zu aktivieren.

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