Großbritannien

Einigung auf Brexit-Deal: Opposition will Vertrag ändern dürfen

Großbritannien wird die EU am 29. März 2019 verlassen. Die Sackgasse, in der die Austrittsgespräche bisher steckten, scheint verlassen.
© AFP/Scarff

London und Brüssel haben sich auf ein Austrittsabkommen geeinigt. Die wichtigsten britischen Oppositionsparteien fordern nun ein Recht auf Vertragsänderung. Vorerst gibt es auch keine Bestätigung aus Brüssel.

London/Brüssel – Nach der Einigung zwischen Großbritannien und der EU auf die Grundsätze der Brexit-Ausgestaltung fordern die wichtigsten britischen Oppositionsparteien ein Recht auf Vertragsänderung. Labour-Chef Jeremy Corbyn verlangte in einem gemeinsamen Brief mit den Chefs der schottischen Nationalpartei und der Liberaldemokraten, dass vor der Abstimmung Modifizierungen der Einigung zugelassen werden sollten.

Ohne Änderungsmöglichkeit fühlen sich Oppositionsführer „mundtot“

Nur so sei es ein aussagekräftiges Votum. Die Regierung von Premierministerin Theresa May hat dagegen erklärt, dass es vor einem Votum keine Änderungsmöglichkeiten geben soll. Die Oppositionsführer bezeichneten dies als Versuch, das Parlament „mundtot zu machen“.

Ihr eigenes Kabinett drängt May laut einem Bericht der Financial Times unterdessen zur Eile. May will demnach erklären, dass ab dem 1. Dezember die Maßnahmen für einen ungeregelten Brexit greifen, wenn es bis Ende November keine Verständigung auf einen Ausstiegsvertrag gebe. Ein Regierungsvertreter sagte laut „FT“, das Kabinett müsse in den nächsten Wochen entscheiden, ob ein harter Brexit das zentrale Planungsszenario sei. Als Stichtag werde derzeit der 1. Dezember gehandelt.

Sitzung des Kabinett und Sondersitzung der EU-Botschafter am Mittwoch

Früher am Dienstag hatte Großbritannien verkündet, dass sich die Unterhändler auf den Entwurf eines Austrittsabkommens geeinigt hätten. Am Mittwochnachmittag (15.00 Uhr MEZ) soll das Kabinett in London zusammenkommen, um den Text zu billigen. Eine Bestätigung aus Brüssel gab es zunächst nicht.

„Die Verhandlungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über ein Austrittsabkommen laufen noch und sind nicht abgeschlossen“, teilte ein Sprecher des irischen Außenministers Simon Coveney mit. Dennoch wurde für Mittwoch (ebenfalls um 15:00 Uhr) eine Sondersitzung der Botschafter der 27 bleibenden EU-Länder angesetzt. Die Regierung in London hofft Berichten zufolge darauf, dass es noch im November zu einem Sondergipfel der EU kommt.

Die Regierung in London muss der Vorlage zustimmen. Nach Aussagen von EU-Vertretern enthält der Kompromiss einen Lösungsvorschlag für die Frage der irischen Grenze. In trockenen Tüchern ist der Deal aber noch lange nicht: Vor einem Monat lag ein erster Entwurf des Vertrags vor, der Abschluss schien in Reichweite. Doch lehnte Mays Regierung ab. Seitdem wurde wieder intensiv verhandelt.

Premierministerin Theresa May lud ihre Minister am Dienstagabend zu Einzelgesprächen in den Regierungssitz ein, um ihnen Einblick in das Entwurfsdokument zu geben. Die eigentliche Hürde für ein Brexit-Abkommen dürfte aber im Parlament in London liegen. Abgeordnete der nordirischen DUP und aus Mays Konservativer Partei drohten damit, den Deal durchfallen zu lassen, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

Noch am Dienstag musste die Regierung im Parlament klein beigeben, um eine Abstimmungsniederlage zu verhindern. Die Labour-Opposition forderte die Veröffentlichung eines Rechtsgutachtens zu dem geplanten Brexit-Abkommen, die nordirisch-protestantische DUP unterstützte diese Forderung. Mays Minderheitsregierung ist auf die Stimmen der DUP angewiesen. Sie kündigte an, das Gutachten zumindest teilweise zugänglich zu machen.

Offenbar Kompromiss zu Irland-Frage

Großbritannien wird die EU am 29. März 2019 verlassen. Die Austrittsgespräche steckten bisher in einer Sackgasse. Am problematischsten ist die Frage, wie nach dem Brexit Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhindert werden können. Die EU besteht auf einer Garantie, dass es keine Kontrollen geben wird. Der sogenannte Backstop stößt aber auf heftigen Widerstand bei den Brexit-Hardlinern in Mays Konservativer Partei und der DUP.

Nun haben sich beide Seiten wohl auf einen Kompromiss geeinigt. Medienberichten zufolge sieht der Plan vor, dass ganz Großbritannien im Notfall in der Europäischen Zollunion bleiben soll. Für Nordirland sollen demnach aber „tiefergehende“ Bestimmungen gelten. Beides dürfte auf Widerstand im Parlament stoßen. Die Brexit-Hardliner bei den Konservativen fordern, dass der Backstop nur für eine begrenzte Zeit gelten darf. Die DUP sträubt sich gegen jegliche Sonderbehandlung Nordirlands. Der Entwurf des Brexit-Abkommens soll mehrere hundert Seiten umfassen.

Der Vertragstext wird den Vertretern zufolge eine Absicherung enthalten, die die Rückkehr von Kontrollen an der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland nach dem Brexit vermeiden soll. Der Punkt würde Großbritannien zusammen mit Nordirland vorübergehend in einer Zollunion mit der EU halten – und Nordirland im EU-Binnenmarkt. Die Frage ist bisher der größte Zankapfel in den Verhandlungen über den EU-Austritt von Großbritannien Ende März 2019.

Die EU und Irland wollen eine harte Grenze zu dem lange Zeit von politischer Gewalt geprägten Nordirland auf keinen Fall zulassen. In Brüssel werden nach Aussagen eines anderen EU-Vertreters die EU-Botschafter ebenfalls um 15.00 Uhr über die Fortschritte unterrichtet. Dann müssten noch die EU-Staats- und Regierungschef dem Papier zustimmen. Dafür müsste ein Sondergipfel angesetzt werden, wahrscheinlich Ende des Monats.

Einigung für beide Seiten Durchbruch

Eine Einigung auf den Ausstiegsvertrag wäre für beide Seiten ein großer Durchbruch. Erst dann könnte sich Großbritannien auf die Übergangszeit nach dem EU-Goodbye verlassen. In der Periode von ungefähr zwei Jahren nach dem Brexit würden EU-Regeln noch weiter auf der Insel gelten, der Warenverkehr könnte also weiter laufen.

Und erst mit einem wasserdichten Austritts-Deal kann auch über die künftigen Handelsbeziehungen zwischen EU und Großbritannien gesprochen werden. Die wichtigsten Details dazu sollen in einer politischen Erklärung stehen, auf die sich beide Seiten auch noch verständigen müssen. Und dann steht noch die Zustimmung des EU- und des britischen Parlaments aus. Insbesondere letztere ist alles andere als sicher.

May hat in ihrer Tory-Partei und beim Koalitionspartner DUP aus Nordirland zahlreiche Gegner. Die fürchten wegen des EU-Plans für die irische Insel eine Zweiteilung des Königreichs. Trotz aller Widrigkeiten schätzt die Bank Goldman Sachs die Wahrscheinlichkeit für einen Brexit mit einem Ausstiegsvertrag aber auf 70 Prozent ein. (APA/dpa/AFP/Reuters)

Verwandte Themen