EU

EuGH: Großbritannien könnte den Brexit noch stoppen

Der Druck über die Art und Weise des EU-Austritts Großbritanniens wird stärker.
© APA/AFP/BEN STANSALL

Der Exit vom Brexit ist noch ohne Weiteres möglich, entscheiden die obersten EU-Richter – ein spektakuläres Signal an die Gegner des EU-Austritts. Die britische Regierung aber gibt sich unbeeindruckt.

Luxemburg – Großbritannien könnte den für 2019 angekündigten Brexit noch ohne weiteres stoppen und Mitglied der Europäischen Union bleiben. Dies entschied der Europäische Gerichtshof am Montag in Luxemburg. Eine Zustimmung der übrigen EU-Staaten sei nicht nötig. Die Schwelle für einen Rückzieher von dem in Großbritannien sehr umstrittenen EU-Austritt ist somit niedriger als gedacht. Die britische Regierung erklärte aber umgehend, das spiele keine Rolle.

London winkt ab

„Ich glaube, das ist irrelevant“, sagte Außenminister Jeremy Hunt bei einem EU-Treffen in Brüssel. Er verwies auf die 52 Prozent der Briten, die 2016 für den EU-Austritt gestimmt hätten und eine Verzögerung nicht verstehen würden. „Ich glaube, die Leute wären geschockt und sehr böse und das ist bestimmt nicht die Absicht der Regierung“, sagte Hunt. Der britische Umweltminister Michael Gove äußerte sich in der BBC ähnlich.

Das oberste schottische Zivilgericht hatte den EuGH um eine Bewertung gebeten. Das Urteil fiel nun einen Tag vor der Abstimmung des britischen Parlaments über das von Regierungschefin Theresa May mit der EU ausgehandelte Austrittsabkommen. Dafür zeichnet sich keine Mehrheit ab. Eine Debatte über Alternativen ist in vollem Gange.

Die britische Regierung hatte am 29. März 2017 die übrigen EU-Staaten offiziell darüber informiert, dass das Land die EU verlassen will. Damit begann ein zweijähriges Austrittsverfahren nach Artikel 50 der EU-Verträge, das planmäßig mit dem Brexit genau zwei Jahre später am 29. März 2019 endet. Die EU-Kommission und der Rat der Mitgliedsländer hatten vor dem EuGH argumentiert, das Verfahren lasse sich nur mit einem einstimmigen Beschluss des Rats stoppen.

Verbleib in der EU muss Rat schriftlich mitgeteilt werden

Der EuGH sieht das eindeutig anders. Ein Rückzieher der Austrittsankündigung sei „in Übereinstimmung mit den verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten“ in Großbritannien möglich. Das gelte so lange, bis ein Austrittsabkommen in Kraft oder die vorgesehene Austrittsfrist einschließlich möglicher Verlängerungen abgelaufen sei.

Die „eindeutige und bedingungslose Entscheidung“ zum Verbleib in der EU müsse dem Rat schriftlich mitgeteilt werden. Dann bliebe das Vereinigte Königreich unter unveränderten Bedingungen Mitglied der EU, entschieden die Luxemburger Richter.

Das Urteil dürfte den Brexit-Gegnern in Großbritannien Auftrieb geben. Aus Schottland, wo eine Mehrheit 2016 gegen den Austritt gestimmt hatte, kamen sofort positive Reaktionen. Regierungschefin Nicola Sturgeon sprach von einem „wichtigen Urteil“. Es ermögliche – neben Deal und einem ungeregelten Austritt – eine weitere Option.

EU-Kommission gegen Spekulationen über einseitigen Rückzug

EU-Ratschef Donald Tusk nehme das Urteil zur Kenntnis, werde aber nicht reagieren, hieß es aus EU-Kreisen. Tusk hatte Großbritannien in der Vergangenheit immer wieder angeboten, in der EU zu bleiben.

Die EU-Kommission will nicht über einen einseitigen Rückzug Großbritanniens vom Brexit spekulieren. Angesprochen auf das EuGH-Urteil, erklärte ein Kommissionssprecherin, die EU bereite sich auf den Austritt Großbritanniens am 29. März 2019 vor.

Die EU werde auch keinesfalls den im November erzielten Deal mit der britischen Premierministerin Theresa May über einen Brexit neu verhandeln. Es werde keine Wiederaufnahme solcher Verhandlungen geben. EU-Chefverhandler Michel Barnier werde Mittwoch im Europaparlament in Straßburg das Thema erörtern.

Die Sprecherin verwies auch darauf, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Wochenende mit May telefonischen Kontakt gehabt habe. Es sei um den aktuellen Stand beim Brexit gegangen, nähere Details gab es keine – außer dass Juncker an diesem Wochenende seinen Geburtstag feierte.

Der schottische Europaabgeordnete Alyn Smith aus der Grünen-Fraktion erklärte, die EuGH-Entscheidung sende eine klare Botschaft an das britische Parlament, „dass es einen Ausweg aus diesem Schlamassel gibt“. Wenn Großbritannien sich umentscheide, sollte die EU das Land wieder mit offenen Armen empfangen, meinte Smith.

Der irische Außenminister Simon Coveney sagte: „Die Zukunft Großbritanniens ist Angelegenheit Großbritanniens.“ Doch beobachte Irland die Entwicklung in London sehr genau, da der Brexit große Folgen für sein Land habe. Coveney bekräftigte, dass die EU Nachverhandlungen ablehne: „Der Deal ist der Deal.

Was nun?

May steht unter Druck, ihr Brexit-Paket noch einmal aufzuschnüren und die EU zu Änderungen an den Sonderregeln für Nordirland zu bewegen. Diese sollen garantieren, dass die Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Staat Irland offenbleiben können. May argumentiert ebenfalls, Änderungen seien mit der EU nicht mehr möglich.

Das Brexit-Paket besteht aus einem knapp 600 Seiten starken Austrittsvertrag, der die Bedingungen der Trennung regelt, so etwa die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien und finanzielle Pflichten Londons gegenüber der EU. Ergänzt wird der Vertrag durch eine rechtlich nicht bindende politische Erklärung zu den künftigen Beziehungen. Widerstand gibt es von Befürwortern wie Gegnern des Austritts. (dpa)

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