Brexit

Auf verlorenem Posten: EU-Gipfel schickt May zurück nach London

Für Theresa May war der Brüsseler Gipfel der Abschluss einer turbulenten Woche.
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Angesichts des endlosen Brexit-Dramas hat sich in Brüssel Frustration breit gemacht. Premierministerin Theresa May steht mehr denn je von allen Seiten unter Beschuss. Ihre EU-Kollegen vermissen klare Aussagen und Vorschläge. Laut EU-Kommissionspräsident Juncker kämpfe sie tapfer, leider seien aber keine Ergebnisse zu sehen.

Brüssel, London – Der EU-Gipfel in Brüssel hat keinen Ausweg aus der Brexit-Sackgasse gefunden. Die Staats- und Regierungschefs zeigten sich im Poker um die Ratifizierung des Brexit-Abkommens mit Großbritannien hart: Zwar machten sie Premierministerin Theresa May Zusicherungen, diese blieben aber rechtlich unverbindlich.

EU-Vertreter berichteten von wachsendem Unverständnis über das Brexit-Chaos in Großbritannien und über unklare Vorstellungen Mays. Die EU will sich deshalb verstärkt auf einen Austritt ohne Abkommen vorbereiten.

May kündigte zum Abschluss des Gipfels am Freitag erneute Gespräche „in den kommenden Tagen“ an, um „weitere Klärungen“ zu dem umstrittenen Abkommen mit der EU zu erzielen – genau dieses Ziel hatte sie ursprünglich schon auf dem nun beendeten Spitzentreffen in Brüssel erreichen wollen.

Zurückhaltung bei den EU-Spitzen

Die EU-Spitzen reagierten zurückhaltend auf Mays Ankündigung. „Ich habe kein Mandat, weitere Verhandlungen zu organisieren“, sagte Ratspräsident Donald Tusk. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, bei den Gipfelberatungen sei es „glasklar“ gewesen, „dass wir die Verhandlungen keinesfalls wieder aufnehmen“.

Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte: „Das ist verhandelt und das gilt.“ Es sei aber auch klar, dass die EU „keinen ungeregelten Austritt“ Großbritanniens wolle.

Kurz warnte vor Brexit-Gerüchten

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) warnte vor Gerüchten im Zusammenhang mit den Brexit-Verhandlungen. „Wir haben unterschiedliche Positionen, aber das ist alles“, sagte er nach dem EU-Gipfel in Brüssel. Die britische Premierministerin Theresa May habe hart verhandelt und ihre Positionen klar rübergebracht. „Nicht alle Gerüchte stimmen“, so Kurz. Auslöser waren offenbar Videoaufnahmen, die May und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei einer Diskussion zeigten. Britische Medien hatten Lippenleser engagiert, denen zufolge May beklagt hatte, dass Juncker sie als „nebulös“ bezeichnet habe. Juncker erklärte am Freitag, er habe nicht May, sondern die Diskussion in Großbritannien gemeint. Er habe sich mit May ausgesprochen und am Ende habe sie ihn geküsst, sagte Juncker.

Kurz wiederum durfte sich über Lob der britischen Regierungschefin freuen. Kurz sei „sehr hilfreich“ mit seinem positiven Brexit-Ansatz in den Verhandlungen gewesen, sagte May nach dem Gipfel am Freitag.

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May seit Monaten unter Druck

May steht seit Monaten innenpolitisch massiv unter Druck und hatte eine Abstimmung über den Brexit-Vertrag im britischen Unterhaus wegen einer drohenden Ablehnung verschieben müssen. Die Premierministerin forderte zum Gipfelauftakt „rechtliche und politische Zusicherungen“ mit Blick auf die im Austrittsvertrag festgelegte Auffanglösung für Nordirland.

Diese würde in Kraft treten, wenn sich die EU und Großbritannien in den kommenden Jahren nicht auf eine bessere Lösung einigen. Das Vereinigte Königreich bliebe dann bis auf weiteres in einer Zollunion mit der EU.

Brexit-Hardliner in Mays konservativer Partei befürchten, dass das Vereinigte Königreich auf Dauer an die EU gebunden bliebe. Sie fordern deshalb ein Enddatum für den sogenannten Backstop zu Nordirland. Dies lehnt die EU aber kategorisch ab.

May bat ihre EU-Kollegen am Donnerstagabend eindringlich um Unterstützung. In ihrem Land habe sich der Eindruck verbreitet, die Nordirland-Klausel in dem Austrittsvertrag sei eine „Falle, aus der das Vereinigte Königreich nicht mehr herauskommt“, sagte sie. Mit den „richtigen Zusicherungen“ könne das Brexit-Abkommen im Unterhaus aber noch verabschiedet werden.

Kommissionspräsident Juncker und May. Sie kämpfe hart, man sehe aber leider keine Ergebnisse, so Juncker.
© imago stock/Roge

Neuverhandlungen ausgeschlossen

In einer Erklärung hielten die anderen EU-Chefs daraufhin fest, dass sie „Neuverhandlungen“ zu dem Austrittsvertrag ausschließen. Die EU sei aber „fest entschlossen“, mit London nach dem EU-Austritt im März 2019 schnell Verhandlungen über ein Abkommen zu den künftigen Beziehungen aufzunehmen, um die Auffanglösung für die irische Grenze überflüssig zu machen.

Falls die Notlösung doch kommen würde, solle sie nur „vorübergehend“ und „so lange wie unbedingt erforderlich“ in Kraft bleiben. All dies sind jedoch unverbindliche Absichtserklärungen, welche die Brexit-Hardliner kaum beruhigen dürften.

EU-Politiker kritisierten, May habe in Brüssel nicht ausreichend erklären können, was genau sie von den Partnern erwarte. Juncker sagte, es gehe nicht an, dass London erwarte, dass die EU „die Lösungen liefert“.

EU-Diplomaten berichteten, Mays Auftritt am Donnerstagabend habe die übrigen 27 Staaten nicht überzeugt, sondern eher befremdet. Zum einen habe die britische Regierungschefin von rechtsverbindlichen Zusicherungen gesprochen, was bei den übrigen Staats- und Regierungschefs als Wunsch nach Nachverhandlungen angekommen sei. Zum anderen habe sie nicht klar definieren können, welche Zusagen die Ratifizierung im britischen Unterhaus wirklich voranbrächte.

Ratifizierung in London unsicher

Belgiens Regierungschef Charles Michel sagte über Mays Auftritt: „Wir haben kein starkes Signal bekommen, dass das Parlament dies billigen wird.“ Die Ratifizierung in London sei sehr unsicher. „Es gibt gigantische Zweifel“, sagte Michel. Auch der luxemburgische Ministerpräsident Xavier Bettel monierte: „In London ist noch ein bisschen so schwabbelig, wie es wirklich aussehen soll.“ Der irische Regierungschef Leo Varadkar zeigte sich zufrieden mit dem EU-Beschluss und lehnte Nachverhandlungen nochmals ab.

Juncker kündigte an, die Vorbereitungen für einen Austritt ohne Abkommen nun zu intensivieren. In der kommenden Woche werde die Kommission einen Leitfaden für einen solchen harten Brexit vorlegen, sagte er.(APA/AFP)

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