“Segensgebet“ für Kurz vor Tausenden sorgt für Kritik und Spott
Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wurde am Sonntag beim christlichen Großevent „Awakening Europe“ in der Wiener Stadthalle gesegnet — nachdem er zu tausenden Gläubigen gesprochen hatte. Der Auftritt sorgt für viel Kritik. Kurz erklärte, er sei von dem Gebet „überrascht“ worden.
Wien — ÖVP-Obmann Sebastian Kurz und die Veranstalter des religiösen Großevents „Awakening Europe" müssen sich seit Sonntag einiges an Kritik anhören. Kurz hatte auf seiner Wahlkampftour in der Stadthalle Station gemacht und dabei ein „Segensgebet" des evangelikalen Predigers Ben Fitzgerald entgegengenommen. Kritiker sehen darin einen Missbrauch der Religion für Wahlkampfzwecke.
Der gebürtige Australier Ben Fitzgerald, der sich auf einer selbst erklärten Mission der christlichen Rückholung Europas sieht, ließ Tausende Teilnehmer des Events in der Stadthalle mit ausgestreckten Armen für den Altkanzler beten. „Gott wir danken dir so sehr für diesen Mann. Für die Weisheit die du ihm gegeben hast. Für das Herz, dass du ihm gegeben hast für dein Volk", sagte Fitzgerald. Kurz selbst dankte den rund 10.000 Teilnehmern an dem Event für ihren Einsatz „für eine Gesellschaft, in der es Zusammenhalt gibt, wo Menschen für einander da sind und wo Glaube auch ein Rolle spielt".
Kritik in Sozialen Medien — auch von kirchlicher Seite
In sozialen Medien mussten sich Kurz und die Veranstalter des Großevents dafür einiges an Kritik gefallen lassen — und zwar auch von kirchlicher Seite. So warnte die Direktorin der evangelischen Diakonie, Maria Katharina Moser, vor einem „Missbrauch des Gebets" für Wahlkampfzwecke: „Die Kirchen sollten sich hüten, sich vor den parteipolitischen Karren spannen zu lassen, egal welcher Partei", schrieb sie auf Twitter. Und ihr Kollege von der katholischen Caritas, Michael Landau, verwies angesichts der Inszenierung auf offener Bühne schlicht auf das Gebot des Matthäus-Evangeliums, im Privaten zu beten („Du aber geh in deine Kammer, wenn du betest, und schließ die Tür zu") - „Von Stadthalle steht da nichts."
Prediger Fitzgerald will Jesus getroffen haben
Gegründet wurde „Awakening Europe" von Fitzgerald, der selbst angibt, als früherer Drogendealer Jesus begegnet zu sein. Angesichts der Kritik bezeichnete Kurz' Sprecher das Segnungsgebet als „spontane Idee von Ben Fitzgerald im Rahmen dieser Ökumenischen Veranstaltung".
Der einstige Drogendealer behauptet, 2002 in einem Nachtklub Jesus begegnet zu sein. Danach änderte er sein Leben, um zu missionieren. Er reiste nach Nürnberg, wo er das ehemalige Reichsparteitagsgelände der Nationalsozialisten besuchtem schreibt der Standard. Dort hatte Fitzgerald angeblich eine weitere Vision, wie er in einem Interview erzählte: "Ich sah all diese europäischen Gesichter: Menschen mit ukrainischem Aussehen, Norweger mit blonden Haaren und blauen Augen — Spanier, Deutsche. Ich sah all diese Europäer in diesem Feld stehen, und sie sagten immer wieder einen Satz: Gott, würdest du dir Europa zurückholen? Hol Europa zurück."
In diesem Interview sprach Fitzgerald laut Standard davon, dass Muslime die Strategie hätten, Europa "anderen Religionen wegzunehmen". Wenn man "diese heilige Gelegenheit nutze, werde man eine hohe Ernte einfahren, sobald man das Schwert in die Schlacht führt", sagte Fitzgerald weiter. Laut dem zum Spiegel gehörenden Portal Bento forderte Fitzgerald bei der "Holy Spirit Night" in Stuttgart vor tausenden Zuhörern, dass "Deutsche stolz darauf sein sollen, Deutsche zu sein. Wen interessiert Geschichte?"
Auf der Großveranstaltung hatte war unter anderem auch Kardinal Christoph Schönborn aufgetreten. Der frühere NEOS-Chef Matthias Strolz reagierte auf die Kurz-Segnung daher auch mit Kritik an der katholischen Kirche: „Als kritischer Katholik am Rande der Kirche hab ich gestern einen Arschtritt bekommen", so Stolz auf Twitter. Er wisse noch nicht, wie er den nehmen solle: „Scheinheiligkeit, Doppelbödigkeit, Naivität, verunfalltes Pop-Event oder Aufforderung zum Austritt..."
Kurz „überrascht"
Bei einer Pressekonferenz zu angeblich gefälschten E-Mails, sagte Kurz auf Nachfrage von Journalisten, dass er selbst „überrascht" von dem Gebet gewesen sei. „Ich wusste davon nichts und kannte den Pastor davor auch nicht." Er sei auch als Kanzler immer wieder bei unterschiedlichen Religionsgemeinschaften zu Gast gewesen. Ob man gelobt oder kritisiert werde, könne man sich nicht aussuchen.
Katholische Kirche versteht Kritik nicht
Die katholische Kirche kann die Kritik nicht nachvollziehen. „Ganz klar ist mir die Kritik nicht", sagte Michael Prüller, Pressesprecher der Erzdiözese Wien, am Montag. „Wir sind als Christen aufgefordert, für Politiker zu beten", sagte er. Als „sehr befremdlich" bezeichnete indessen die FPÖ den Auftritt.
Eine parteipolitische Vereinnahmung konnte Prüller nicht erkennen. Das Gebet habe weder Kurz' Partei gegolten noch habe man für seinen Erfolg gebetet. Es habe sich außerdem um eine ökumenische Veranstaltung gehandelt, die katholische Kirche sei daran nicht offiziell beteiligt gewesen, wies er Kritik an der katholischen Kirche zurück. Es hätten lediglich Vertreter daran teilgenommen, darunter eben auch Kardinal Christoph Schönborn.
FPÖ: „Klare Grenze überschritten"
„Sehr befremdlich" findet dagegen die FPÖ den gemeinsamen Auftritt von Kurz und Prediger Fitzgerald. „Mit diesem sektenähnlichen Verhalten wurde eine klare Grenze überschritten. Wenn jemand wie Fitzgerald nach einer Drogendealerkarriere behauptet, Jesus getroffen zu haben und dann 10.000 Menschen in der Wiener Stadthalle auffordert, Sebastian Kurz zu huldigen, ist das nicht nur peinlich, sondern bedenklich", so Generalsekretär Christian Hafenecker in einer Aussendung. Er erinnerte Kurz daran, dass in Österreich die Trennung von Staat und Kirche gelebt werde. „Ein Spitzenpolitiker sollte sich daher für eine solche Aktion nicht hergeben", befand Hafenecker. (TT.com, APA)
Auch auf Twitter, Facebook und Co. ließen Spott und Kritik an dem Auftritt von Kurz nicht lange auf sich warten.
Satiriker Jan Böhmermann distanzierte sich sofort:
Ein gefundenes Fressen für die satirische Tagespresse: