Innenpolitik

Auch nach Verstaatlichung: „Wir machen auf alle Fälle weiter!“

„Ausreisezentrum“: Herbert Kickl ließ neue Schilder unter anderem am Erstaufnahmezentrum Traiskirchen anbringen, sein interimistischer Nachfolger Eckart Ratz ließ sie wieder entfernen.
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„Integration funktioniert“, sagt Michael Kerber von der Diakonie. Umso unverständlicher sei das Aus für die unabhängige Rechtsberatung. Gemeinnützige wollen weiterhin Hilfe anbieten.

Innsbruck — Die Rechtsberatung des Diakonie-Flüchtlingsdiensts hat im vergangenen Jahr österreichweit mehr als 19.000 Menschen im Asylverfahren begleitet und 7000 Bescheide des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) angefochten. Rund 40 Prozent der Beschwerden wurde vom Gericht stattgegeben. Bei Einsprüchen gegen die Inschubhaftnahme liegt die Quote der Aufhebungen sogar noch höher: „Das bedeutet, dass beinahe die Hälfte also zu Unrecht in Haft war", sagt Michael Kerber, Leiter der Arge Rechtsberatung Tirol des Diakonie Flüchtlingsdiensts. Gemeinsam mit dem Verein Menschenrechte Österreich ist die Arge derzeit noch mit der so genannten „staatlich beigefügten Rechtsberatung" für Asylsuchende beauftragt. In Tirol wurden im vergangenen Jahr 3000 Klienten beraten.

Das durch die vergangene Regierung im Mai noch kurz vor Ende der Koalition trotz massiver verfassungsrechtlicher Bedenken beschlossene Aus der unabhängigen Rechtsberatung durch gemeinnützige Hilfsorganisationen sorgt weiterhin für Proteste in ganz Österreich. Die Mitarbeiter und viele freiwillige Helfer und Unterstützer sind laut Kerber in großer Sorge darüber, dass die unabhängige Rechtsberatung durch eine „Bundesagentur für Betreuung und Unterstützung" (BBU) ersetzt werden soll. „In Zukunft soll also das gleiche Ministerium, das die Entscheidungen im Asylverfahren in erster Instanz trifft, auch für die Beschwerden gegen diese Entscheidungen verantwortlich sein. Das ist ein europaweit einzigartiges Vorgehen und bedeutet einen frontalen Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit im Asylverfahren."

Michael Kerber (Diakonie Tirol, unten) setzt sich für eine unabhängige Rechtsberatung ein.
© Spirk-Paulmichl

Jetzt gab das Innenministerium den Start einer öffentlichen Interessentensuche für die Geschäftsführung der neuen Bundesagentur bekannt. Gleichzeitig protestieren neben vielen Rechtsexperten weiterhin prominente österreichische Künstler gegen die Wiederverstaatlichung der Beratung und Rechtsbetreuung von Asylwerbenden. In Graz sorgt ein bekannter Asylanwalt für Aufsehen, der seine Kanzlei schloss, weil er seinen Klienten unter den vorherrschenden Umständen nicht mehr zu helfen imstande ist. „In zu vielen Gesprächen musste ich diesen Unwillen eines Rechtssystems, Rechte anzuerkennen, Menschen vermitteln, deren Existenz damit ins Wanken geriet. Dabei geriet nun meine Verbundenheit mit diesem Rechtssystem ins Wanken. Als Rechtsanwalt bin ich Teil davon. Das möchte ich nicht mehr sein", erklärt Ronald Frühwirth seinen Schritt auf seiner Homepage.

Die gemeinnützigen Hilfsorganisationen wollen unterdessen nicht aufgeben: „Wir machen auf alle Fälle weiter", sagt Kerber. Sollte die finanzielle Unterstützung von öffentlicher Seite ausbleiben, hofft man auf private Spenden. „Integration funktioniert", sieht er keinen Grund für verschärfende Maßnahmen. (ms)

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