Innenpolitik

Oberster Lehrergewerkschafter: „Mit Türkis-Grün stehe ich nicht vor dem Abgrund“

Kimberger hätte gern Faßmann wieder an der Ressortspitze.
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Pflichtschullehrer-Gewerkschaftschef Paul Kimberger sieht Chancen für Türkis-Grün – und hat „keine Angst“ vor einem grünen Bildungsminister.

Von Karin Leitner

Wien –Bildungspolitik ist besonders ideologiebehaftet. Und so liegen die Positionen der Regierungsverhandler weit auseinander. Die von ÖVP und FPÖ fixierten Ziffernnoten in der Volksschule nennen die Grünen „eine rückwärtsgewandte Symbolmaßnahme“, die von den vormaligen Koalitionären installierten Deutschförderklassen seien „Ghettoklassen“.

Sieht der schwarze Pflichtschullehrer-Gewerkschaftschef Paul Kimberger dennoch die Chance, dass ÖVP und Grüne handelseins werden? „Ich sehe Chancen, wenn gewisse Fehler nicht mehr gemacht werden. Ich warne davor, sich in ideologische Organisations- und Strukturdebatten zu begeben, wie das in den vergangenen Jahrzehnten der Fall gewesen ist“, sagt er im Interview mit der TT.

In Sachen Notenregelung – die er selbst kritisiert hat – ist sein „Lösungsansatz: Es sollte am Schulstandort autonom entschieden werden, welche Form der Beurteilung es gibt. Diese Möglichkeit sollte den Schulen gegeben werden.“ So sei das auch bei den Deutschförderklassen zu handhaben: „Es gibt Standorte, wo das gut läuft, an anderen läuft es schlecht. Also sollte dort entschieden werden können, ob es solche Klassen gibt.“

Kimbergers weitere Begehren: „Die Schulen versinken in Verwaltung und Bürokratie. Die Lehrer und Schulleiter müssen entlastet werden, Supportpersonal muss endlich her.“ Und ob der „Bandbreite“ von Schülern in Volksschulklassen – „Es gibt Sechsjährige, die haben in der Schuleingangsphase den Entwicklungsstand von Dreijährigen, andere den von Neunjährigen“ – sollte es zwei Lehrer in jeder Klasse geben. All das wäre finanzierbar, wenn das Bildungsbudget zumindest auf den OECD-Schnitt gehoben würde: „Laut diesen Berechnungen sind wir mit 1,1 Milliarden Euro pro Jahr unterfinanziert. Es ist keine Frage, ob wir uns das in Österreich leisten können, sondern ob wir uns das leisten wollen.“

Ist Kimberger mit von der Koalitionsverhandlungspartie? 2013 hat er ja für die ÖVP das Bildungskapitel miterstellt. „Wir werden uns mit Sicherheit in die Verhandlungen einbringen. In welcher Form auch immer.“ Der Tiroler Wirtschaftsbund-Obmann Franz Hörl hätte keine Freude mit einem türkis-grünen Bund; er sagt: „Wir stehen am Abgrund und blicken in eine grüne Schlucht.“ Hat Kimberger denselben Blickwinkel? „Ich stehe nicht vor dem Abgrund. Ich mache mir auch keine großen Sorgen, gehe mit Zuversicht heran.“ Für manche ÖVPler ist ein grüner Bildungsminister eine Horrorvorstellung. Für Kimberger auch? „Ich bin schon lange im Geschäft, habe viele Ressortchefs erlebt. Ich kann sie mir nicht aussuchen. Wir nehmen das, was wir bekommen. Wir sind in den Lehrergewerkschaften so gut aufgestellt, dass wir vor niemandem Angst haben müssen.“ Wird er auf die ÖVP einwirken, das Bildungsministerium keinem Grünen zu überantworten? „Wenn Heinz Faßmann, den ich sehr schätze, wieder Minister werden würde, würde ich das sehr begrüßen.“ Es geht Kimberger also nicht generell um einen Türkisen an der Ressortspitze? „Ich möchte die Person Faßmann erneut da haben.“

Der jetzigen Ministerin widerspricht er. Für Iris Rauskala ist die geplante 5-Sterne-App, mittels der Schüler Lehrer bewerten sollen, keine Angelegenheit des Ressorts, sondern der Gewerkschaft: „So leicht kann sie es sich nicht machen“, sagt Kimberger. „Das Ministerium hat als Dienstgeber die Fürsorgepflicht. Sie ist laut Gesetz verantwortlich für das Wohl der Lehrerinnen und Lehrer – und sollte sie vor diesem Unsinn schützen.“

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