Trump: „Europa soll gefangene IS-Kämpfer übernehmen“
Der militärische Einsatz der USA gegen die Terrormiliz in Syrien neigt sich dem Ende zu. Die USA haben hunderte europäische Kämpfern der Terrormiliz Islamischer Staat gefangen genommen.
Washington, Damaskus – Washington/Damaskus/Berlin (dpa) - Angesichts der bevorstehenden Niederlage der Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien hat US-Präsident Donald Trump die europäischen Verbündeten aufgerufen, Hunderte von gefangenen IS-Kämpfern zurückzunehmen. Andernfalls wären die USA gezwungen, die Kämpfer auf freien Fuß zu setzen, twitterte Trump in der Nacht zum Sonntag. Zu den Staaten, die Trump in seiner Botschaft direkt ansprach, gehört auch Deutschland.
„Die USA ersuchen Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere europäische Verbündete, über 800 IS-Kämpfer, die wir in Syrien gefangen genommen haben, zurückzunehmen und vor Gericht zu stellen“, schrieb Trump. Das Kalifat stehe kurz vor dem Fall. „Die Alternative ist keine gute, indem wir gezwungen wären, sie freizulassen“, twitterte Trump. Die USA würden ungern zusehen, wie diese IS-Kämpfer Europa durchdringen, wohin sie erwartungsgemäß gehen wollten.
Kalifat vor dem Aus
In Syrien steht die Terrormiliz IS kurz vor einer militärischen Niederlage. Die von den USA unterstützten und von Kurden geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) waren am Wochenende tief in die letzte verbliebene IS-Hochburg Baghus am Euphrat vorgedrungen. Nur noch in einem kleinen Teil des Ortes an der syrisch-irakischen Grenze hielten sich noch einige IS-Kämpfer verschanzt, sagte SDF-Kommandeur Adnan Afrin der Deutschen Presse-Agentur. Allerdings hielten die Dschihadisten noch viele Zivilisten als menschliche Schutzschilde, weswegen der Vormarsch nur langsam vor sich gehe.
Nach Angaben der Kurden befinden sich „Hunderte“ ausländische IS-Kämpfer, sowie deren Frauen und Kinder in kurdischen Gefängnissen und Lagern im Norden Syriens. Die SDF kritisieren seit langem, dass europäische Staaten bislang nicht zur Rücknahme ihrer Staatsbürger bereit seien.
Reaktionen zurückhaltend
„Wir kämpfen gemeinsam mit einer internationalen Allianz gegen Terrorismus und den IS“, sagte der bei den SDF für Internationale Angelegenheiten zuständige Abdel Karim Omar der Deutschen Presse-Agentur. Daher müsse auch das Problem der gefangenen ausländischen IS-Kämpfer und ihrer Familien gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft koordiniert werden. „Es ist eine Bürde, die wir nicht alleine tragen können.“
Die europäischen Staaten äußerten sich zu Forderungen aus Washington und Syrien zurückhaltend. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es am Sonntag, man habe zwar Kenntnis von Fällen deutscher Staatsangehöriger, die sich in Nordsyrien in Gewahrsam befinden sollen. Eigene Erkenntnisse lägen dazu aber nicht vor. Eine konsularische Betreuung in Syrien sei nach der Schließung der deutschen Botschaft in Damaskus weiterhin faktisch nicht möglich.
Auch Frauen und Kinder in Syrien
Etwa 270 Frauen und Kinder aus Deutschland oder auch dort geborene Kinder deutscher Eltern seien noch in der Region Syrien und Irak, erklärte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. Seit 2013 seien rund 1050 Personen aus Deutschland in Richtung des Kriegsgebietes in Syrien und dem Irak ausgereist. Rund ein Drittel dieser Menschen sei bereits nach Deutschland zurückgekehrt.
Der Direktor des Internationalen Zentrums für Radikalisierungsstudien (ICSR), Peter Neumann, schätzt, dass bis zu 100 deutsche IS-Anhänger inklusive ihrer Familien in den Händen der Kurden sind. Er kritisierte die europäischen Staaten, die das Problem immer wieder verschoben hätten. „Man muss diese Leute sukzessive zurückholen und zum Beispiel auch als Kronzeugen nutzen“, forderte der Islamismus-Experte.
Harsche Töne aus Großbritannien
Frankreich hatte bereits im Januar angekündigt, 130 IS-Anhänger zurückholen zu wollen. Verteidigungsministerin Florence Parly warnte in einem Gastbeitrag der Zeitung „Le Parisien“ davor, die kurdischen Kräfte nach dem Abzug der USA in Syrien im Stich zu lassen. Der Westen verdanke den Kurden sehr viel.
Harsche Töne gab es dagegen aus Großbritannien, wo derzeit über den Wunsch einer 19-Jährigen diskutiert wird, die sich dem IS angeschlossen hatte und jetzt mit einem Neugeborenen in Syrien in Haft sitzt. Innenminister Sajid Javid hatte sich schon vor dem Appell Trumps ablehnend zu einer Rückkehr geäußert: „Meine Botschaft ist klar - falls jemand Terrororganisationen im Ausland unterstützt hat, werde ich nicht zögern, seine Rückkehr zu verhindern.“
Europa soll mehr Verantwortung übernehmen
Der britische Justizminister David Gauke betonte aber, dass es bei einer Ablehnung des Rückkehrwunsches rechtliche Probleme geben könnte. Man dürfe Menschen nicht staatenlos machen, sagte er dem Sender Sky News.
Schon bei der Münchener Sicherheitskonferenz hatten die USA Europa zu mehr Verantwortung in Nahost aufgefordert. „Wir wollen unsere Soldaten nach Hause bringen“, sagte US-Vizepräsident Mike Pence. „Also bitten wir andere Nationen darum mitzumachen und nötige Ressourcen, Unterstützung und Personal bereitzustellen, um das Gebiet zu sichern und zu verhindern, dass die (Terrormiliz) IS oder jede andere extremistische Organisation erstarken oder ihr Gebiet zurückerobern.“
Trump hatte schon vor längerer Zeit angekündigt, die US-Soldaten in Syrien abzuziehen, was Kritik auslöste und Sorgen vor einem Wiedererstarken des IS nährte. Ein Abzug würde die Kräfteverhältnisse in der Region verändern.
Der IS hatte 2014 den Höhepunkt seiner Macht erreicht. Damals kontrollierten die Dschihadisten ein Gebiet, das sich über große Teile Syriens und des Iraks erstreckte. Mittlerweile sind IS-Anhänger auch in anderen Ländern aktiv, etwa in Libyen oder Afghanistan.(APA, dpa)
Frage des Umgangs mit Jihad-Reisenden macht weltweit Kopfzerbrechen
Mehrere tausend ausländische Jihadisten mit ihren Frauen und Kindern sind in die Hände der syrischen Kurden gefallen. Ihre Heimatländer stellen die Jihad-Reisenden vor ein Dilemma, da sie bei einer Rückkehr ein unkalkulierbares Sicherheitsrisiko darstellen, die Kurden sie langfristig aber nicht festhalten wollen oder können. US-Präsident Donald Trump hat nun die Europäer aufgerufen, rasch ihre Landsleute zurückzuholen und ihnen den Prozess zu machen. Andernfalls würden sie freigelassen.
Österreich: Laut dem aktuellen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2017 sind 313 österreichische "Foreign Fighters" bekannt, 59 konnten an der Ausreise gehindert werden. Nach unbestätigten Informationen wurden 55 getötet, darunter im vergangenen November der bekannteste, der Wiener Jihadist Mohamed M., angeblich in einem Gefängnis des IS bei einem Luftangriff der US-geführten Anti-IS-Koalition. Die Zahl der Rückkehrer ist 2017 um vier auf 94 gestiegen, mehrere wurden bereits von heimischen Gerichten zu teils hohen Haftstrafen verurteilt.
Deutschland: Von den mehr als 1050 Jihadisten, die sich von Deutschland aus auf den Weg nach Syrien gemacht haben, ist nach Angaben des Bundeskriminalamts (BKA) inzwischen rund ein Drittel wieder in Deutschland, darunter auch viele Frauen. Medienberichten zufolge sitzen mehrere Dutzend Deutsche in kurdischer Haft. Die deutsche Regierung erkennt allen ein Rückkehrrecht zu, macht jedoch bisher keine Anstalten, Deutsche aus Syrien zurückzuholen.
Frankreich: Von den französischen Jihad-Reisenden befinden sich rund 130 in kurdischer Haft, darunter 70 bis 80 Kinder. Paris hat angekündigt, sie nach Frankreich zurückzuholen, doch bleibt unklar, wie eine Rückführung rechtlich und logistisch funktionieren soll. Während mehr als 300 französische Jihadisten in den vergangenen Jahren getötet wurden, werden noch etwa 250 Kämpfer und ihre Angehörigen in Syrien auf freiem Fuß vermutet.
Großbritannien: Im Jänner ging die Regierung in London von rund 200 britischen Jihadisten in Syrien und dem Irak aus, die sie als ernste Gefahr einstuft. Knapp 400 IS-Anhänger waren bis zum Juni vergangenen Jahres in die Heimat zurückgekehrt, die meisten von ihnen Kinder und Frauen. Rund 40 Rückkehrer mussten sich wegen Verbrechen vor der Justiz verantworten, während die Regierung für die anderen ein Programm aufgelegt hat, um sie zu deradikalisieren.
Belgien: Auch aus der belgischen Jihadistenszene sind viele Anhänger in die Kriegszone gereist. Von den mehr als 400 belgischen Jihad-Reisenden wurden Ende 2018 noch 150 im Irak und Syrien vermutet. Hinzukommen etwa 160 Kinder und Jugendliche, die belgische Staatsbürger sind. Die Regierung in Brüssel will Kinder unter zehn Jahren zurückholen, wenn eine belgische Abstammung klar belegt ist. Sonst will sie "von Fall zu Fall" entscheiden.
Russland: Mit fast 4500 Jihadisten stellt Russland eines der größten ausländischen Kontingente der IS-Miliz, wobei die meisten aus den muslimischen Kaukasusrepubliken stammen. Während die Regierung darauf setzt, die Kämpfer vor Ort zu töten, hat sie dem tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow die Aufgabe gegeben, die Heimführung der Frauen und Kinder zu organisieren. Bisher kehrten so rund 200 Angehörige aus der Kampfzone zurück.
Tunesien: Auch aus Tunesien hat sich eine große Zahl von Jihadisten der IS-Miliz angeschlossen. Auf 3000 bis 5000 wird die Zahl tunesischer Extremisten geschätzt, die auf Seiten der Gruppe im Irak, Syrien und Libyen kämpfen. Wie andere Staaten auch, will Tunesien seine Bürger nicht zurück, kann ihnen aber die Rückkehr nicht verwehren. Präsident Béji Caid Essebsi erklärte, ihnen drohe in diesem Fall ein Prozess und eine Haftstrafe.
Marroko: In dem Königreich werden Jihad-Rückkehrer systematisch vor Gericht gestellt und zu Haftstrafen von bis zu 15 Jahren verurteilt. Seit Mitte 2018 wurde so mehr als 200 Rückkehrern der Prozess gemacht. Nach Schätzungen aus dem Jahr 2015 hatten sich mehr als 1600 Marokkaner Jihadistengruppen in Syrien und dem Irak angeschlossen.