TT-Interview

Moser-Pröll: „Was Hirscher leistet, ist nicht mit Worten zu beschreiben“

Jägerin aus Leidenschaft – Annemarie Moser-Pröll wurde 1999 nicht umsonst zur Weltwintersportlerin des Jahrhunderts gewählt.
© imago/Andreas Schaad

Jahrhundert-Wintersportlerin Annemarie Moser-Pröll über das Phänomen Marcel Hirscher, die Zeichen der Zeit, die aufgeflammte Sicherheitsdiskussion und warum man die Siebziger nicht mit heute vergleichen kann.

Schon den Fernseher eingeschaltet? (Es ist 12.10 Uhr und in zwanzig Minuten beginnt die Damen-Weltcup-Abfahrt in Gröden, Anm.).

Annemarie Moser-Pröll: Ich bin gerade heimgekommen, werde mir das Rennen aber natürlich anschauen.

Dort, wo Sie vor 48 Jahren zu Ihrer ersten WM-Medaille (Abfahrts-Bronze, Anm.) gerast sind.

Moser-Pröll: (lacht lauthals und ausdauernd).

Warum mussten Sie so lachen?

Moser-Pröll: Weil es einfach schon so lange her ist. 48 Jahre, Wahnsinn! Dabei kann ich mich an meine Fahrt noch ganz genau erinnern. Es ist, glaube ich, vier, fünf Jahre her, dass ich in Gröden war und unter anderem die Sellaronda (Ski-Rundtour, Anm.) gefahren bin. Lustigerweise waren die Erinnerungen an Wolkenstein, wo wir 1970 untergebracht waren, komplett weg. Aber die WM-Abfahrt hatte ich voll im Kopf, wie eingebrannt.

Nach den Trainingsläufen gab es durchwegs kritische Stimmen, dass die Saslong gegenüber den Herren zu sehr entschärft worden ist.

Moser-Pröll: Man darf nicht vergessen, dass Marc Gisin auf dieser Strecke erst vor ein paar Tagen schwer gestürzt ist. Unter diesen Eindrücken ist es gescheiter, wenn man etwas an Tempo und Schärfe herausnimmt. Denn wenn was passiert, ist der Aufschrei riesig. Aber das war früher nicht anders. Wie man es gemacht hat, hat man es falsch gemacht. Die Sicherheit der Athletinnen muss jedenfalls immer Vorrang haben.

Ferdinand Hirscher, der Papa von Marcel, hat zuletzt gemeint, dass ein Plus an Sicherheit nur mit einer Temporeduktion zu erreichen ist. Dafür brauche es aber ruppige, schlagige Pisten – so wie zu Ihrer Zeit.

Moser-Pröll: Vorneweg: Wenn sich der Ferdinand dazu äußert, dann hat das Substanz, weil er ganz genau weiß, wovon er spricht. Der große Unterschied von heute zu damals ist das Material. Unsere Skier waren nicht so tailliert, viel weniger aggressiv und die Gefahr, dass man sich heutzutage verkantet oder verschneidet, ist ungleich größer. So wie der Druck, der heutzutage auf den Bändern und Gelenken lastet – das ist eigentlich unvorstellbar. Wenn ein Kreuzband während eines Schwunges, ganz ohne Sturz, reißt, ist vieles gesagt.

Sensationell, einfach sensationell. Was Marcel seit vielen Jahren leistet, ist nicht mit Worten zu beschreiben. Wie oft hat man geglaubt, dass es nach einem Kristoffersen-Lauf nicht mehr besser geht! Und dann kommt immer wieder der Marcel und setzt noch einen drauf – und meistens in einer Art und Weise, dass man es mit freiem Auge wahrnimmt. In Wahrheit unvorstellbar.
Annemarie Moser-Pröll

Unabhängig davon, ob Marcel Hirscher noch der Riesentorlauf-Erfolg von Stefan Luitz in Beaver Creek zugesprochen wird, hält Ihr Salzburger Landsmann seit dem Parallel-Riesentorlaufsieg am Montagabend in Alta Badia bei 62 Weltcupsiegen. So wie Sie ...

Moser-Pröll: Sensationell, einfach sensationell. Was Marcel seit vielen Jahren leistet, ist nicht mit Worten zu beschreiben. Wie oft hat man geglaubt, dass es nach einem Kristoffersen-Lauf nicht mehr besser geht! Und dann kommt immer wieder der Marcel und setzt noch einen drauf – und meistens in einer Art und Weise, dass man es mit freiem Auge wahrnimmt. In Wahrheit unvorstellbar.

Freuen Sie sich für ihn?

Moser-Pröll: Und wie. Es ist einfach ein Genuss, ihm beim Skifahren zuzusehen. Und dass er so wie ich ein Salzburger ist, macht alles noch spezieller. Ja, es erfüllt mich mit Stolz.

Annemarie Moser-Pröll überreichte Marcel Hirscher die Trophäe „Sportler des Jahres 2018“.
© gepa

Wie lässt sich das Phänomen Hirscher erklären?

Moser-Pröll: Wie sag ich’s? Bei ihm passen einfach alle Puzzleteile zusammen, angefangen bei seinen herausragenden Fähigkeiten, über sein Team, die Skifirma, die Familie und natürlich den Ferdl (Vater Anm.). Das ist Teamwork in Perfektion. Und ja, Marcel trainiert wie ein Berserker, das darf man nie vergessen.

Abgesehen von seinen skifahrerischen Fähigkeiten, was beeindruckt Sie an Marcel am meisten?

Moser-Pröll: Dass er nie aufgehört hat, an sich zu arbeiten. Dass er hungrig geblieben ist, den Fokus stets aufs nächste Rennen legt, das Erreichte höchstens als Ansporn nimmt, das nächste Level zu erreichen.

Kann man die Siebziger, als Sie Ihre größten Erfolge gefeiert haben, mit der heutigen Zeit vergleichen?

Moser-Pröll: Nein, überhaupt nicht. Früher war noch vieles lockerer, heute herrscht eine Professionalität, die wenig Spielraum übrig lässt.

Hannes Reichelt, der nun auch schon eineinhalb Jahrzehnte im Weltcup ist, hat das vergangene Woche so ausgedrückt: „Früher hat man die Läufer noch an der Bar getroffen.“

Moser-Pröll: (lacht abermals lauthals auf) Wenn wir früher Rennen gewonnen haben, hat die Skifirma eigentlich immer eine kleine Feier im Hotel geschmissen. Wenn ich an Atomic denke, da ist nicht zuletzt mit dem Olympiasieg von Olga Pall (Grenoble 1968) alles steil bergauf­gegangen. Und ja, wir haben schon feiern können. Wenn am nächsten Tag kein Rennen war, da haben wir uns schon was erlaubt.

Und wenn nach einem Sieg am nächsten Tag ein Rennen anstand, war dennoch ein Bier drin?

Moser-Pröll: (lächelt): Meistens ist mit Sekt angestoßen worden.

Das Gespräch führte Max Ischia

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