Haus der Geschichte - Ein schwieriges Kapitel: Österreich 1933-1938

Wien (APA) - Die Zeit zwischen 1933 bis 1938 zählt nach wie vor zu den umstrittensten Kapiteln österreichischer Geschichte. Das wurde auch i...

Wien (APA) - Die Zeit zwischen 1933 bis 1938 zählt nach wie vor zu den umstrittensten Kapiteln österreichischer Geschichte. Das wurde auch im „Haus der Geschichte Österreich“ (hdgö) deutlich, wo man sich nach langen Diskussionen für den Begriff „Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur“ entschlossen hat, aber auch „Austrofaschismus“, „Ständestaat“, „autoritärer Ständestaat“ und „Kanzlerdiktatur“ zur Diskussion stellt.

Die APA bat im Vorfeld zwei Wissenschafter zum Austausch ihrer Positionen. Während der an der Universität Graz lehrende Historiker Dieter A. Binder (65) bekennt, „keinerlei Schwierigkeiten mit den Begriffen“ zu haben, ist der Politologe Emmerich Talos (74), seit 2009 von der Uni Wien emeritiert, ein klarer Verfechter des Begriffs Austrofaschismus. „Der Begriff Ständestaat, der jahrzehntelang den Diskurs dominiert hat, ist kein wissenschaftlicher, sondern ein politischer Begriff. Das ist die Selbstdeutung der damals Herrschenden. Zum Begriff Austrofaschismus komme ich als Resultat einer wissenschaftlichen Analyse. Wenn ich Form und Inhalt untersuche, komme ich zum Schluss, dass dieses System eine spezifische Variante faschistischer Herrschaft ist. Ein Begriff wie Diktatur macht zwar auch Sinn, sagt aber nur darüber aus, wie Politik gemacht wird, nichts darüber, welche Politik gemacht wird.“

Warum wirkt der Konflikt bis in die Zweite Republik, ja bis heute nach? „Die ÖVP hat lange Zeit in der Masse ihrer Funktionäre nicht die tiefe Traumatisierung verstanden, die 1933/34 in der österreichischen Sozialdemokratie herbeigeführt wurde“, sagt Binder. Während die ÖVP-Seite „kontrafaktisch das Bild des ständestaatlichen Regimes als Abwehrhaltung gegen den Nationalsozialismus“ entwickelt habe, sei auf der anderen Seite die Frage gestellt worden, „wie sehr dieses Regime den Aufstieg und Machtantritt des Nationalsozialismus mitzuverantworten hat“. „Die ÖVP hat jedes Jahr an die Dollfuß-Ermordung erinnert, die Sozialdemokraten an die Ermordung der Schutzbündler“, hebt Talos hervor. „Die Koalitionsbildung 1945 war nur möglich, indem die heiße Kartoffel in den Hintergrund gedrängt wurde.“

„Zu einem Zeitpunkt, an dem die Große Koalition am Zerbröseln war, gab es 1964 den Handschlag zwischen Alfons Gorbach und Bruno Pittermann an den Gräbern der Opfer von 1934, um das Thema aus der politischen Debatte zu nehmen“, erinnert Binder. Doch noch 2011 sorgte etwa das Aufhebungs- und Rehabilitationsgesetz für die Justizopfer der Jahre 1933 bis 1938 für harte Fronten. Die ÖVP sorgte schließlich dafür, dass darin nicht von Austrofaschismus, sondern lediglich von der „Zeit nach Außerkraftsetzung des Parlamentarismus in Österreich“ die Rede war.

Während in heimischen Medien heutzutage der Begriff Ständestaat rund doppelt so häufig gebraucht wird wie der Begriff Austrofaschismus, stellt das hdgö weitere Begriffe zur Diskussion. Für Talos ist auch „autoritärer Ständestaat“ keine Lösung: „1933-38 gab es keinen Ständestaat. Das einzige, das errichtet wurde, waren zwei Berufsstände für den öffentlichen Dienst und für Land- und Forstwirtschaft. Auch Helmut Wohnouts Begriff der ‚Regierungsdiktatur‘ sagt nur etwas darüber aus, wie die Regierung zu Beschlüssen gekommen ist. Diese Begriffe sind meines Erachtens der hilflose Versuch darüber hinwegzugehen, was dieses Herrschaftssystem insgesamt für Interessen bedient hat.“

Doch beide Wissenschafter können der Idee etwas abgewinnen, die noch immer laufende Diskussion um Begriffe und Inhalte abzubilden: „Das ist sicherlich vom Definitorischen her ein vermintes Gelände. Das Haus der Geschichte macht darauf aufmerksam und führt genau aus, woher das kommt. Das ist die einzige Möglichkeit: Ich lasse nichts unter den Tisch fallen und fordere damit natürlich auch eine Stellungnahme des Betrachters ein. Die ganze Ausstellung ist so konzipiert, dass die unterschiedlichen Narrative - es ist grob fahrlässig zu behaupten, es gäbe keins - zu Wort kommen“, sagt Binder.

Oft wird ins Treffen geführt, angesichts des Erstarkens autoritärer Regime rund um Österreich habe es damals gar keine andere Möglichkeit gegeben, als ebenfalls diese Richtung einzuschlagen. Oder hätte es doch die Möglichkeit eines demokratischen „Sonderweges“ gegeben? „Das ist für mich überhaupt keine Frage“, ist Binder überzeugt: „Stellen Sie sich ein Europa vor, 1938, in dem von Frankreich über die Schweiz und Österreich bis in die Tschechoslowakei ein langer Streifen ist, der demokratisch regiert ist. Das wäre ein echter Cordon sanitaire gewesen. Dieses ‚Wir haben ja gar nicht anders können‘ ist nichts anderes als eine irrsinnig nette Ausrede.“ Genauso Emmerich Talos: „Dass es keine andere Möglichkeit gegeben hätte, trifft schlicht nicht zu.“

Vom bisherigen Verlauf des Gedenkjahres ist Talos „ein wenig enttäuscht“: „Mir kommt vor, dass bestimmte Deutungen, die man eigentlich schon längst überwunden geglaubt hat, heute im Rahmen dieser Gedenkveranstaltungen wieder etabliert werden. Was ich zudem bedaure ist, dass der Fokus vielfach auf bestimmte Jahre geht. Im Gedenken an den März 1938 hat man den Eindruck gewinnen können, beim ‚Anschluss‘ wäre es nur um diese paar ‚dunklen Tage‘ gegangen. Wir können aber den ‚Anschluss‘ nur verstehen, wenn wir das Herrschaftssystem seit 1933 mitbegreifen. Im Bestreben, die Ecken abzuschleifen und eher das Gemeinsame herauszustreichen, hat dieses heurige Jahr meines Erachtens vieles verfehlt.“

„Das ist auch meine Beobachtung“, bestätigt Dieter A. Binder, der sich zudem vom „Marathon an Jubiläen“ irritiert zeigt und die Ernennung von Heinz Fischer zum Regierungskoordinator für das Jahr 2018 kritisiert: „Einen emeritierten Bundespräsidenten quasi zum lieben Gott des Gedenkjahres zu machen... Das ist absolut nicht gegen die Person gemünzt, aber alleine da wird das Staatstragende schon sichtbar. Da hätte ich mir schon andere Konstruktionen vorstellen können.“

„Was ich mir vom Haus der Geschichte erwarte, ist Aufklärung durch Differenzierung“, sagt Talos. „Für Fragen von Identität, auch gebrochene Identitäten, ist ein Haus der Geschichte eine ganz wichtige Sache.“ Die jüngste Erklärung von Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) weist für Binder „in eine gute Richtung“. Es stehe außer Frage, „dass diese Einrichtung ein eigenständiges Bundesmuseum sein muss, dessen Anbindung ans Parlament und dessen Inhalt nach einer zentralen Lage förmlich schreien. Da ich bei Neubauplänen skeptisch bin - hier sind doch gewaltige Mittel notwendig - wäre es aus meiner Sicht besser, vorerst innerhalb der Neuen Burg entsprechende Erweiterungen vorzunehmen, damit man über eine vernünftige Ausstellungsfläche, ein entsprechendes Depot und die Verwaltungsräumlichkeiten verfügt.“

(Das Gespräch moderierten Sonja Harter und Wolfgang Huber-Lang/APA)

ZU DEN PERSONEN: Dieter A. Binder (Jg. 1953), studierte in Graz, Wien und Bonn Geschichte. Er lehrt am Institut für Geschichte der Karl-Franzens-Universität in Graz und an der Fakultät für Mitteleuropastudien der Andrassy Universität in Budapest. Er ist Mitglied des Internationalen wissenschaftlichen Beirats des hdgö. Emmerich Talos (Jg. 1944) studierte Katholische Theologie und Geschichte in Wien und Tübingen und absolvierte ein Post-Graduate-Studium der Politikwissenschaft am IHS in Wien. 1983-2009 war er Professor am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien.