E-Control-Vorstand Urbantschitsch: Ökostrom-Ziel schwer zu schaffen
E-Control-Chef Urbantschitsch erklärt 100 Prozent Ökostrom bis 2030 ist nur mit zehnmal mehr Solarstrom, dreimal so vielen Windparks und mehr Wasserkraftwerken zu erreichen. Häuslbauer sollen PV-Strom über Web-Plattformen verkaufen können.
2020 soll eine Stromverbindung über den Brenner stehen. Abgesehen von der Symbolik: Welche Auswirkung hat das für die Kunden?
Wolfgang Urbantschitsch: Auf den Strompreis wirkt sich die Verbindung nicht aus. Sie kann aber den Handel fördern. Italien hat ein großes Interesse an Zugang zu Strom. Und das kann beispielsweise für die Tiwag ein Vorteil sein, weil sie Strom exportieren kann.
Bis 2030 will Österreich seinen Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen produzieren, also Wasser, Wind, Sonne, Biomasse. Ist das Ziel machbar?
Urbantschitsch: Damit es sich ausgeht, muss man den jährlichen Ökostrom-Ausbau von zuletzt einer Terawattstunde (TWh) pro Jahr auf 3 TWh verdreifachen. Darin ist die Steigerung des Stromverbrauchs bis 2030 um 15 % eingerechnet.
Wie viel zusätzliche Kraftwerke braucht es, um dieses 2030-Ziel zu schaffen?
Urbantschitsch: Man bräuchte dreimal so viel Windkraft wie derzeit, dazu zehnmal so viel Photovoltaik wie jetzt und auch noch zusätzliche Wasserkraftwerke.
Wie soll sich das in der Praxis ausgehen, wenn alleine der Ausbau des Wasserkraftwerks Kühtai sich seit vielen Jahren zieht?
Urbantschitsch: Es wird wegen der Dauer von Genehmigungsverfahren schwer, den Ausbau zügig über die Bühne zu bringen. Natürlich muss sorgfältig geprüft werden, man kann ja nicht einfach so Kraftwerke bauen. Wenn es aber Möglichkeiten gibt, die Verfahren zu erleichtern, ohne dass man die Prüfungsintensität reduziert, sollte man die bürokratischen Hürden möglichst beseitigen. (Anm.: Inzwischen erachtet die EU das umstrittene Standortentwicklungsgesetz mit dem beschleunigten Umwelt-Verfahren als EU-rechtswidrig.)
Die Förderung des Ausbaus zahlen hauptsächlich Privathaushalte über den Ökostrombeitrag, der 2020 im Schnitt von heuer 70 auf 89 Euro steigt. Verdreifacht sich die Abgabe, wenn man den Ausbau verdreifacht?
Urbantschitsch: Es wird zu erwarten sein, dass sich dieser Beitrag erhöht, wenn man den Ausbau-Turbo zündet. Allerdings gibt es eine politische Erklärung – zumindest der alten Regierung –, dass man bei dem bisherigen jährlichen Fördervolumen von 700 Millionen bis eine Milliarde Euro bleiben will. Somit würde die Ökostromabgabe nicht höher sein, als sie einmal war – nämlich zwischen 100 bis 120 Euro im Jahr für einen durchschnittlichen Haushalt mit einem Stromverbrauch von 3500 kWh pro Jahr. In Tirol sind es vielleicht ein paar Euro mehr, weil die Tiroler Haushalte im Schnitt 4000 kWh im Jahr verbrauchen. Wir liegen aber in Österreich damit noch extrem gut – in Deutschland zahlt der durchschnittliche Haushalt 235 Euro. Dafür, dass es nicht zu hoch hinaufgeht, spricht auch, dass die Technologie günstiger wird. Bei der Photovoltaik komme ich künftig ohne Förderungen aus. Wenn ich eine PV-Anlage aufs Haus montiere und 80 Prozent Strom selbst verbrauche, dann rechnet sich das schon.
Aber nur ohne teure Stromspeicher-Batterie.
Urbantschitsch: Wenn ich in einem Einfamilienhaus eine Batterie brauche, um auf die 80 % Eigenverbrauch zu kommen, rechnet sich das nicht mehr. Aber in einem Mehrparteienhaus gibt es immer jemanden, der den Strom, der gerade produziert wird, auch gleich verbraucht – für Kühlschrank, Tiefkühltruhe etc. Und künftig werden auch Energiegemeinschaften entstehen.
Wie kann man sich das vorstellen?
Urbantschitsch: Man bekommt künftig die Möglichkeit, mit der eigenen PV-Anlage den Nachbarn zu beliefern. Mit solchen Energiegemeinschaften brauche ich keinen Stromspeicher. Das ist der nächste Schritt, der bewirken wird, dass sich eine PV-Anlage besser rentiert.
Was sagen etablierte Energieunternehmen dazu?
Urbantschitsch: Selbst wenn es den angestammten Energielieferanten missfallen würde – das ist EU-Gesetz und muss bis Ende 2020 in Österreich umgesetzt werden. Außerdem gehen ja auch die Großen in dieses Geschäft rein. Das heißt, dass zum Beispiel die Tiwag den Hausbesitzern ein Angebot machen könnte: Ich stelle euch schlüsselfertig eine Anlage aufs Dach, sorge für die Abrechnung und ihr zahlt mir eine monatliche Gebühr dafür. Das andere Modell wäre, die Hausbesitzer selbst holen sich wen, der die Anlage betreibt. Da kommen wir als Regulator ins Spiel. Denn es sind dann nicht mehr nur die örtlichen Energieversorger am Markt, sondern es kann jeder sein, etwa ein Bauträger. Damit bekomme ich neue Energieanbieter in den Markt.
Brauchen solche neuen Anbieter eine Zulassung?
Urbantschitsch: Es gibt noch solche Fragen, die man lösen muss. Spannend ist aber, dass sich etwas außerhalb der angestammten Energiewirtschaft entwickelt. Es können etwa auch Internet-Plattformen entstehen – ähnlich wie Uber oder Airbnb –, wo Leute mit einer PV-Anlage oder einem Batteriespeicher ihre Energie zur Verfügung stellen. Hier kann sich etwas entwickeln, das die Energiemärkte verändert.
Das Gespräch führte Max Strozzi